Was wäre wenn – ein berufspolitischer Blick zurück nach vorn

Oliver Spilker
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Dass ich das noch erleben muss, werde ich denken – vielleicht – im Jahre 2060. Sie hat wirklich Recht gehabt, die Freiburger Studie von vor 40 Jahren. Die Mitgliederzahl unserer Kirche hat sich halbiert, Pfarreien wurden zusammengelegt, kleinere Predigtstätten geschlossen. Nun fahren Kleinbusse aus den Dörfern, wo früher Gemeindehäuser standen in die großen Städte zum Zentralgottesdienst. Das was damals eine Bewegung namens „Profil und Konzentration“ leisten sollte, ist ganz von alleine gekommen, die austretenden Mitglieder haben Fakten geschaffen. Religionsunterricht findet, wenn überhaupt, auch nur noch an großen Schulen statt, einfach, weil die wenigen Pfarrer, die es noch gibt, sich auf ihre Gemeinden konzentrieren müssen und der Studiengang Religionspädagogik vor 10 Jahren die letzten Absolventen entlassen hat. Es wollte einfach niemand mehr an so viele Schulen fahren und zusehen, wie staatliche Lehrer und Theologen für die gleiche Arbeit mehr Geld bekommen. Am Berufsbild und an der Bezahlung hatte man in den 2020er Jahren nur Korrekturen vorgenommen. Und so half auch keine noch so professionelle Werbekampagne mehr. Auch Katechetinnen gibt es nicht mehr, sie verdienten ja damals zum Teil drei Gehaltsstufen weniger als ihre Kollegen Religionspädagogen und gar fünf weniger als Gemeindepfarrer, die auch an der Grundschule eingesetzt waren. Schade, dass ich das noch erleben muss …

So könnte es sein. Oder so:

Dass ich das noch erleben darf, werde ich denken – vielleicht – im Jahre 2060. Sie hat wirklich Recht gehabt, die Freiburger Studie von vor 40 Jahren. Die Mitgliederzahl unserer Kirche hat sich halbiert, jetzt sitzen sie wieder zusammen in ihren Wohnzimmern und leben das Priestertum aller Getauften und ringen um das Wort Gottes. Und weil Bayern vor 20 Jahren als letztes Bundesland endlich sein dreigliedriges Schulsystem abgeschafft hat, kommen von der 1. bis zur 10. Klasse noch genug Schüler zusammen zum Religionsunterricht und lernen die Grundlagen ihrer eigenen Konfession kennen. In der Kollegstufe und in der Berufsschule dann stehen die Christen beieinander und treffen sich zum christlichen Unterricht, denn auch zusammen sind die Gruppen nur noch halb so groß wie die der Heidenkinder. Den Unterricht hält dann abwechselnd mal eine Priesterin (der Priestermangel war einfach zu groß, auch das Zölibat ist Geschichte), mal eine Religionspädagogin, mal ein Pfarrer. In dem alten Projekt RU 2026“ war an so etwas noch gar nicht zu denken. Und endlich hat die Kirche das alte Gewerkschaftsprinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ umgesetzt. Da wollte man vor 40 Jahren bei der Aktion „Miteinander der Berufsgruppen“ auch noch nicht ran.  Nun gab es damals ja noch eine verbeamtete Kirche, auch das ist Geschichte. Niemand muss sich heute mehr nach QE 4 qualifizieren. Wer geeignet ist, bekommt den Job und das dazu passende Geld – egal, was er oder sie irgendwann mal irgendwo studiert hat. In den 2040er Jahren wurde dann ein „Miteinander der Berufsgruppen – reloaded“ gestartet und das, was man zwanzig Jahre zuvor noch nicht gewagt hat, wurde nun umgesetzt: Alle großen Berufsgruppen sind strukturell an der Leitung der Kirche beteiligt: Ein Kirchenmusiker führt als Oberkirchenrat die Abteilung K, eine Religionspädagogin führt als Oberkirchenrätin die Abteilung S (es gibt nämlich auch wieder eine eigene Schulabteilung wie schon in grauer Vorzeit der 1990er Jahre) und eine Diakonin steht der Abteilung D vor. In der Landessynode gibt es proportional je nach Größe der Berufsgruppe eine feste Anzahl von Sitzen.

Viel hat sich getan in dieser Kirche. Wir sind weniger als früher. Das ist schade. Aber es ist doch vieles besser geworden. Und das ist gut. Schön, dass ich das noch erleben darf …

 

Oliver Spilker